Er ist nicht zu ersetzen
Die Vorgeschichte: Ruprecht kam nur bis Schierke
„Christkind, kannst du endlich still sein? Ich will jetzt das Briefing machen, damit wir dann endlich anfangen können. Der Produktionsleiter hat es eilig. Also, Konzentration bitte.
Noch einmal zur Ausgangslage, ok. Wir haben letztes Jahr ein wichtiges Glied in der Zustellung verloren. Ein schwerer Verlust, den man eigentlich nicht wettmachen kann. Aber sehen wir es professionell. Die Lücke muss geschlossen werden, weil … The show must go on und ihr vier werdet dafür sorgen. Da draußen stehen zehn Kandidaten und Kandidatinnen, ja richtig gehört, Kandidatinnen. Ihr seid dafür verantwortlich, dass Millionen von Kindern auch in diesem Jahr wieder glücklich werden. Ist das klar?
Jetzt mal zu jedem einzelnen.
Sankt Nikolaus, du bist der Chef im Ring, du hast die meiste Erfahrung, du wirst die ….“
„‘tschuldigung, wenn ich dich unterbreche, aber Sankt Nikolaus, das klingt so total old school. Das klingt so nach Adventsfeier im Seniorenheim, so mit Blockflöten und Gedichte aufsagen und so. Das gefällt mir nicht und dem Publikum auch nicht. Da finde ich mich nicht wieder. Nennt mich doch einfach Nicky, ja, ganz einfach Nicky. Das finde ich toll. Das klingt so nach gutem Kumpel.“
„Das war so nicht abgemacht, Nicky. Du sollst kein Kumpel sein. Du sollst die Kandidaten fordern, ihnen das beste abringen und wenn‘s sein muss, sie zum Weinen bringen. Klar? Da passt Nicky nun überhaupt nicht.“
„Du musst das dialektisch sehen. Der Reiz besteht doch im Kontrast zwischen den zutraulichen Namen und der bösen Rolle. Da ist das Erschrecken doch um so großer.
Und komm‘ mir nicht mit Santa oder so‘n Quatsch. Das klingt nach Cola-Werbung. Also Nicky oder gar nüscht.“
„Ok, ok, also Nicky, Nicky. Hat das jeder verstanden? Auch die Jungs von der Beleuchtung?
Wir nennen dich jetzt also Nicky. Das ändert aber nichts an deiner Aufgabe: Fordernd sein, fies sein und Sprüche unterhalb der Gürtellinie setzen. Schau sie dir genau an und finde ihre Schwächen, Klar?“
„Cheeeff! Schäääff!“
„Ja. Was ist?“
„Chef, wir haben ein Problem.“
„Ja und, wo ist das Problem?“
„Wir haben nur noch neun Kandidaten. Die Karin ist gegangen, die Alleinerziehende. Hat gesagt, sie könne nicht mehr warten, weil die Kinder von der Oma und die würde jetzt ...“
„Ja und wo ist das Problem. Dann haben wir halt nur noch neun. Dann geht‘s eben schneller. Das erfreut den Produktionsleiter.“
„Aber dann stimmt doch die Quote nicht mehr, Chef.“
„Quote, papperlapapp. Wir ziehen das jetzt durch, weiter im Text.
Nun zu dir, Rudolf.“
„Rudy“
„Wie bitte?“
„Rudy. Wenn er Nicky sein darf, dann will ich Rudy sein.“
„Hat jemand Einwände? Nein? Gut dann eben Rudy. Hat das jeder verstanden? Auch die Jungs von der Beleuchtung?
Das ändert aber nichts an deiner Rolle. Du bist nicht bei der Sache, du vermasselst die Einsätze und gibst unpassende Kommentare. Du sagst immer wieder: Wie konnte das passieren? Warum konnte ich ihn nicht retten? Das werde ich mir nie verzeihen können. Was sollen jetzt die Kinder von mir denken. Du darfst auch ein wenig weinen dabei.
Hier, ihr da hinten, wenn Rudy weint, dann geht ihr aber so was von close up, da will ich jede Wimper einzeln sehen.
Kannst du das bitte wiederholen?“
„Wie konnte das nur passieren? Warum konnte ich ihn nicht retten? Das werde ich mir nie verzeihen können. Was sollen nur die Kinder von mir denken. Gut so?“
„Übrigens Rudolf, ...“„Rudy, Rudy. Was ist daran so schwer?“
„Also gut. Rudy, du sollst noch mal deine Nase pudern lassen. Sie glänzt so. Hast du schon wieder am Glühwein genascht?“
„Ja und wenn schon. Ich habe auch jeden Grund dazu. Ich habe einen Freund verloren, einen sehr guten Freund, wenn ihr mich versteht. Also einen väterlichen Freund.“
„Cheeeff! Schäääff!“
„Was ist denn jetzt?“
„Chef, wir haben ein Problem.“
„Ja und, wo ist jetzt das Problem?“
„Chef, wir haben keinen Schnee.“
„Wir haben keinen Schnee? Was soll das jetzt heißen? Wir haben keinen Schnee.“
„Die Spedition rief gerade an. Der Lkw mit dem Kunstschnee steht bei Herne im Stau, der schafft es nicht mehr bis zum Drehbeginn.“
„Der Schnee, auf dem wir alle talwärts fahren. Dann ruft doch beim Hansi an, beim Hansi Hölzel, der kann immer liefern. Ansonsten nehmen wir halt Nebel. Ganz einfach Nebel und ein bisschen Licht von hinten. Es wird in diesem Haus doch wohl genug Nebelmaschinen geben. Man muss eben flexibel sein.
So weiter im Text.
Christkind? Hallo Christkind. Ja, mit dir rede ich. Hast du heute noch kein Ritalin bekommen? Du bist so zappelig. Also, konzentriere dich und höre mir zu, höre mir gut zu.“
„Jaaha. Und sag nicht dauernd Christkind. Das ist sooo …. und ein Kind bin ich auch“
„Ok, wie wäre es mit Chris? Kurz und gut. Chris. Dann eben Chris. Hat das jeder verstanden? Auch die Jungs von der Beleuchtung?
Also Chris, du bist der Verständnisvolle in dieser Truppe. Egal, welcher Kandidat gleich vor euch steht, du findest es toll, dass sie sich überhaupt getraut haben, und egal, was die machen, singen oder tanzen, du applaudierst immer. Klar? Immer applaudieren, richtig euphorisch applaudieren und mit den Füßen stampfen. Und wenn der Nikolaus mal wieder ...“
„Nicky. Ist das so schwierig? Nicky bitte.“
„Sorry Nicky, so sorry. Also wenn der Nicky mal wieder über die Kandidaten herfällt, dann unterbrichst du ihn, so Love and Peace and Happiness mäßig eben. Ist das klar? Und damit das auch richtig gut funktioniert, da solltest du gleich noch mal ordentlich am Weihrauchfässchen schnuppern oder gleich zweimal, so Love and Peace and Happiness mäßig am Weihrauchfässchen.“
„Ja nee is klar. Aber eine Frage habe ich dann doch noch.“
„Ja Chris. bitte.“
„Wer ist eigentlich für diese beschissene Deko verantwortlich? Das ist ja total retro, so mit Schneemann und Glöckchen und Zwiebeltürmchen. Geht gar nicht. Das braucht mehr Party. Das müsste mehr so Ischgl mäßig, ja, wie Ischgl müsste das aussehen.“
„Erwähne nie wieder Ischgl in meine Gegenwart, nie wieder Ischgl, sonst bist du raus, du Christkind. Haben wir uns da verstanden? Ok, weiter.“
„Cheeeff! Schäääff!“
„Nein nicht schon wieder.“
„Chef, wir haben ein Problem.“
„Ja und, wo ist jetzt schon wieder das Problem?“
„Chef, wir haben nur noch acht Kandidaten.“
„Wieso das?“
„Der Alte mit dem Bart. Die Sanitäter haben ihn gerade abgeholt. Er ist uns einfach zusammengeklappt. Wahrscheinlich unterzuckert, sagte der Sanitäter. Oder dehydriert. Auf jeden Fall haben sie ihn mitgenommen ins Krankenhaus.“
„Gut, das freut den Produktionsleiter. Wir sind eh‘ in Verzug. Also weiter im Text.
Du bist also Keke aus … aus … aus also aus ...“
„Finnland, Chef, aus Finnland.“
„Danke.
Also Keke aus Finnland. Wie war die Reise?“
„Danke. Einfach. Von Rovaniemi mit dem Flieger nach Helsinki, umsteigen und im Direktflug.“
„Kommst du mit dem Jet Lag klar? Kannst du arbeiten, so konzentriert arbeiten?“
„Kurze Info. Finnland gehört zu Europa. Wir leben nicht hinter dem Ural.“
„Gut, gut, umso besser.
Also, wir müssen noch was mit deinem Akzent machen. Der ist zu schwach. Man muss sofort hören, dass du aus … aus, also aus … „
„Finnland“
„Finnland, ja danke, dass du also aus Finnland kommst. Geht das? Ansonsten muss du Finnisch sprechen und wir legen dann einfach einen Dolmetscher drauf.
Kann hier jemand Finnisch? War hier schon mal jemand in Stockholm?“
„Chef“
„Ja“
„Sorry Chef, aber Stockholm ist in Schweden und nicht in ...“
„Finnland. Nicht in Finnland. Habe verstanden.
Also Keke, dein Akzent, bringe deinen Akzent voll zur Geltung.
Und du bist der Gewerkschaftsvertreter der Elfen. Mach das klar. Egal, welcher Kandidat oder welche Kandidatin gleich vor dir steht, frag nach Tariflohn, Mitbestimmung und fünf Tage Woche auch im Dezember und nach Dreißig Stunden Woche bei vollem Lohnausgleich. Sag, unter dem Alten hätte es das auch gegeben und ihr Elfen seht nicht ein, warum ihr darauf verzichten solltet. Ist ja nicht eure Schuld, dass der nicht mehr da ist.“
„Olen ymmärtänyt“
„HääH?“
„Ich habe verstanden. Auf Finnisch.“
„Gut dann können wir ja endlich anfangen. Alle auf ihre Positionen ….
Scheiße, was ist denn jetzt.“
„Cheeeff! Schäääff!“
„Ja, ich weiß. Wir haben ein Problem.“
„Ja Chef, es sind alle Sicherung rausgeknallt. Alle, komplett rausgeknallt. Das kann dauern.“
Auch in diesem Jahr fiel die Bescherung aus.
Die Folgen: Ich bin der Neue
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