Ruprecht kam nur bis Schierke
Ta-teng, ta-teng, ta-teng.
Das war sein Rhythmus seit mehr als einer Stunde. Unterbrochen nur von langen schrillen Pfiffen und dem Quietschen der Räder in den Kurven. Ta-teng, ta-teng, ta-teng, knapp zwei Stunden würde es wohl noch dauern. Einmal umsteigen würde eine Pause verschaffen. Ta-teng, ta-teng, ta-teng, ein beruhigende Monotonie.
Die Landschaft hatte sich deutlich verändert. Die weite Ebene war verschwunden und einem Tal gewichen Die Strecke führte im Schlingerkurs an einem Flusslauf entlang. Unzählige Bäume versperrten die Sicht.
„Ihren Fahrschein bitte“, riss ihn eine scharfe Stimme aus seinen Gedanken. Die Schaffnerin trug dunkelblau. Der Stoff ihre Uniformjacke zeigte aber schon ersten Verschleiß. Er musste ganz tief in den Jutesack zu seinen Füßen greifen, um dort nach dem altmodischen Pappstreifen zu fischen. „Einen Augenblick bitte, ich hab‘ ihn gleich“, brummte er.
Währenddessen spielte sie mit der Lochzange. Professionelle Geduld. Dann streckte er ihr den schmalen, beigen Streifen entgegen. Sie entwerte den Fahrschein. „Dankeschön und weiterhin gute Fahrt.“
Die Schaffnerin setzte ihren Weg durch den Zug fort. Ta-teng, ta-teng, ta-teng, der gewohnte Rhythmus war wieder da. Dann machte die Frau in dunkelblau einen Ausfallschritt nach links. Sie hatte die nächste Weiche kommen gehört.
Er stauchte den Sack wieder zusammen: „Mein Gott, wie oft werde ich da heute Abend noch rein greifen müssen?“ Die Antwort blieb er sich schuldig. Stattdessen wendete er den Kopf wieder dem beschlagenen Fenster zu. Mit dem rechten Zeigefinger zwirbelte er eine Bartlocke auf. Wasser perlte an der Scheibe herunter. „Ach herrlich, ein wahres Wintermärchen. Schade, dass ich an solch einem Tag arbeiten muss“, setzte er das Selbstgespräch fort.Dann kämmte er mit der rechten Hand seinen weißen Rauschebart.
Die Reisegruppe
„Oh lovely, lovely“, quietschte die Dame in rosa. Ihre Stimme bohrte sich bis unter seine Schädeldecke. „Indeed, my darling, indeed“, erwiderte das Tweed Sakko neben ihr akzentfrei, „it‘s wonderful. That‘s what they call a Wintermärchen, I think so.“ Ein Satz wie aus dem Oxford Dictionary. Der Rest der Reisegruppe widmete sich den Spiritousen, die die Schaffnerin feilgeboten hatte. Währenddessen war der Schneefall in ein Schneetreiben übergegangen.
„Fine, old boy, you look like Santa Claus“. Er hatte den Mann gar nicht kommen sehen, auf einmal stand er vor ihm. „Realy like Santa Claus.“ Dann wankte der Mann weiter Richtung Toilette.
„Warum machen sich so viele Menschen so viel Mühe, die Klischees zu erfüllen“, brummelte er vor sich hin. „Weil es ihr Leben strukturiert, Dinge übersichtlich macht und man Position beziehen kann“, antwortet der junge Mann auf der anderen Seite des Gangs. Seine Jack Wolfskin-Jacke gab ihn als Soziologiestudent im Hauptstudium zu erkennen. Dann verfielen beide wieder in kontemplatives Schweigen.„Wie Nikolaus? Schön wär‘s. Der hat seit dem 7. Dezember schon wieder Urlaub und ich muss noch bis tief in die Nacht arbeiten“, schoss ihm durch den Kopf. Er hätte zugeben können, dass Nikolaus ihm gelegentlich unterstützte.
Dabei sollte er doch froh sein über diese Reisegruppe. Dank ihrer very britishen Bekleidung fiel er mit seinem roten Mantel mit weißen Pelz gar nicht mehr ins Gewicht. Im nächsten Jahr würden sie nicht mehr so leicht von ihrer Insel herunterkommen. Ein ausreichender Trost. Ta-teng, ta-teng, ta-teng. Der Rhythmus hatte ihn wieder.
51° 47′ 57″ N , 10° 36′ 56″ O, das war seine Zielvorgabe. Rudolf hatte ihm die Daten dieses Jahr per WhatsApp geschickt. „Wir müssen unserer Beziehung neuen Pep geben“, hatte Rudolf gesagt. „Neuen Schwung hhmm hhmmm“, brummte er. „Ja, ich werde mit den Jungs vorfliegen, dir die Koordinaten schicken, du muss uns finden und dann kann es losgehen“, machte Rudolf klar, dass die Diskussion beendet war, bevor sie überhaupt begann.
So ging das nun seit drei Jahren. Oder waren es schon vier. Rentier müsste man sein. Abgesehen von ein paar Trainingsrunde mit und ohne Schlitten war deren Einsatz doch überschaubar. Er hingegen muss schon seit Monaten Wunschzettel entziffern, Lieferkonditionen aushandeln, Umweltverträglichkeitsprüfungen über sich ergehen lassen, mit Zwergen Tarifgespräche führen und die Flugroute festlegen. Die App Chrismas 2.1 hatte sich als untauglich erwiesen.
51° 47′ 57″ N , 10° 36′ 56″ O hatte er in sein GPS-Geräte eingegeben und das hatte „Brocken“ ausgespuckt. Okay, warum nicht Brocken?
Ein langgezogener Pfiff und die Lok bremste ab. Der Zug rappelte über den Bahnübergang und querte die L 100. Umsteigen in Drei Annen Hohne, endlich. Das Ta-teng Ta-teng verstummte. Der Zug fuhr auf Gleis 2 ein und gab ein Zischen von sich.
Das Bahnhofgebäude verschwand in der Mischung aus Dämmerung und Schneetreiben. Theoretisch würde die Sonne in einer Dreiviertelstunde untergehen. Doch sie war längst von den immer dichteren Wolken verschluckt worden.Umsteigen in Drei Annen Hohne, doch der Anschlusszug war noch nicht da. Unschlüssig stand er mit den Briten auf dem Bahnsteig. Alle drehten sie die Köpfe hin und her. Kein Zug da. Internationale Ratlosigkeit. Der Schnee drückte ihm die Mütze an die Stirn. Er schulterte den Sack und stieg über das Gleis 1, dorthin, wo er das Bahnhofsgebäude vermutete.
Fachmann für Schnee
Er drückte sich mit dem Rücken an die blassgelbe Wand, doch es gab keinen Schutz. Nun klatschte der Wind ihm den Schnee ins Gesicht. Der hatte sich veränderte. Aus den anfangs klatschnassen Gebilden waren erst wohlgeformte Flocken geworden. Aber nun versetzten ihn die Eiskristalle hunderte von Nadelstichen rund um die Augen.
Er war ein Fachmann für Schnee, kein Wunder bei diesen Arbeitszeiten. „Das heißt nichts Gutes“, murmelte er ahnungsvoll. Die Engländer drängten sich neben ihn. Die Stimmung der Reisegruppe war umgekippt. Aus dem „Lovely“ und dem „Wonderful“ waren „Oh my god“ und „Bloody“ geworden. Aus der hochgeschlagenen Uniformjacke links schaute ihn ein teilnahmsloses Gesicht an.
Ein Pfiff zertrümmerte die Stille. Es kam Bewegung in die Uniformjacke. Auf Gleis eins fuhr der Zug aus Wernigerode ein. Zwei dutzend Ausflügler ergossen sich auf den Bahnsteig. Es wurde eng.
Dann noch ein Pfiff, dieses Mal von rechts. Die Brockenbahn erreichte den Bahnhof Drei Annen Hohne. Gleich ging es weiter. Eine gute Stunde noch, dann würde er endlich Rudolf und sein Team treffen. Der Abend nahm den geplanten Verlauf.
Wieder schulterte er den Sack. Seine Stiefel drückten sich in den tiefen Schnee und er umkurvte die dampfenden Loks. Für kurze Zeit bildete sein rot-weißer Mantel einen belebenden Kontrast zu den schwarzen Stahlleibern.
Aussteigen, umsteigen, einsteigen. Auf dem Bahnsteig an Gleis drei herrschte ein dichtes Gedränge. Die einen kamen, die anderen gingen. Die scharfen Wortwechsel passten nicht zum friedlichen Geist dieses Heiligen Abends.
Ratsch, klick, die Tür war zu. In Waggon drei erwartet ihn feuchtwarme und abgestandene Luft. Klick, ratsch, die Tür ging wieder auf. Die Reisegruppe brachte kalte Luft mit. „Oh, good old boy, nice to see you again. We have got the same destination, i think so“, begrüßte ihn die Tweedjacke zwei von vorhin.
Der Zug rappelte kurz, die Lok war umgespannt worden. Die Schaffnerin gab das Signal Abfahrt.Nun ging es himmelwärts. Die Lok arbeitete schwer und stieß eine Rauchsäule in den Himmel. Einer langer Pfiff, der Zug kreuzte wieder die L 100. Dann stellt sich das Ta-teng, Ta-teng, Ta-teng wieder ein. Der Zug verschwand im Wald. In siebenunfünfzig Minuten sollte er oben auf dem Gipfel sein. Er hatte die Strecke längst auf sein GPS geladen, ein Halt in Schierke stand noch an.
Während der Zug beschleunigte, blickte er wieder zum Fenster hin. Das Wasser perlte von den beschlagenen Scheiben. Draußen war nur noch weiß. Es musste reichlich geschneit haben in den letzten Stunden. An einigen Stellen erreichte der Schnee bereits die unteren Äste der Fichten und immer noch trieb der Wind unerbittlich die Flocken vor sich her.
Der Körper antwortete auf den Warm-Kalt-Warm-Wechsel mit wohliger Müdigkeit. Er blickte aus dem Fenster ohne etwas wahrzunehmen. Einfach nur schauen, das Yoga der Bahnreisenden. Ta-teng, Ta-teng, Ta-teng.
Ein Pfiff weckte ihn aus dem Dämmerzustand. Schierke müsste langsam in Sicht kommen, wenn da Draußen nicht diese Mischung aus Schneefall und Dunkelheit wäre. Ein Sturm rauschte durch die Fichten. Die Bäume längs der Gleise verneigten sich von dem Sturm. Fast erschien es ihm wie ein Wogen und Anstürmen, ein Meer aus Schnee. Ein Bild kam ihn in den Sinn. “Roaring Sea Horses” von Walter Crane. Schon wieder ein Engländer.
Erst ein langer Pfiff, dann wurde der Zug langsamer. Beim Blick nach vorne tauchte ein grau-grünes Holzhaus auf. Einstöckig duckte es sich in den Wind.Das musste der Bahnhof Schierke sein.
Der Zug stand, dann zischte er. Seltsam, niemand stieg zu. Bis auf auf zwei Uniformjacken bewegte sich nicht auf dem Bahnsteig. Erst gesellte sich der Schaffner zu seinen beiden Kollegen, dann kletterte der Lokführer aus dem Führerhaus und gesellte sich zu den Dreien.
Immer wieder erhob sich aus der Gruppe ein Kopf und drehte sich zum Zug hin, um dann wieder im Schutz der Clique abzutauchen. Dann löste sich die Gruppe auf. Der Lokführer ging mit schnellen Schritten zu seinem Fahrzeug, der Schaffner stieg in den Zug und die beiden Uniformjacken verschwanden im Bahnhofsgebäude.
Dann wurde das Rauschen in den Schläuchen von einem Gegrummel unterlegt. Offensichtlich gab es eine Durchsage am Bahnsteig, aber er konnte nichts verstehen. Der brausende Wind machte alles zunichte.
Klick, ratsch, ratsch, klick. die Tür ging auf, der Schaffner trat ein. Er machte ein Gesicht wie sieben Tage Schneesturm. “Sehr jeehrte Damen und Herren, liebe Fahrjäste, darf ick um ihre Aufmerksamkeit bitten. Ich möchte ihnen eene wichtige Mitteilung machen”
Der Migrant
Er verstand den Mann kaum. Der hatte offensichtlich einen Migrationshintergrund und war einst aus Berlin zujewandert.
“Aufgrund der schwierigen Wetterlage ist eene Weiterfahrt nicht möglich. Wegen der enormen Schneemassen ist ein reguläre Betrieb nicht mehr möglich. Die Fahrt zum Brocken endet hier. Für die HSB hat die Sicherheit der Fahrgäste Vorrang. Safety first.”
Erst schaute die Reisegruppe verständnislos auf den Mann in Dunkelblau. Dann schien einer der Mitreisenden die Mitteilung in ihre Muttersprache zu übertragen. Der Vortrag endet mit “Safety first”.
Nun schauten ihm die Briten enttäuscht an. “The Fairy tale is over. Wintermärchen kaputt, my darling”, sagte Tweedjacke eins zur Gattin in Rosa. Die zischte nur ein “Fuck!”
“Wir werden nun die Lok umspanne und in wenigen Minuten nach Drei Annen Hohne zurückkehren. Dort haben Sie noch Anschluss in ihre Zielorte”. Damit beendete der Sachse jegliche Diskussion und machte sich auf den Weg zur gegenüberliegenden Tür.
Ihm fiel die Kinnlade auf den füllige Bauch. “Das kann doch nicht wahr sein. Das ist doch nicht ihr Ernst”, brüllte es aus ihm heraus. Das Blut schoss ihm in den Kopf. Der war mindestens so rot wie die Jacke.
Er schnellte aus der Sitzbank empor und baute sich vor dem HSB-Mitarbeiter auf. “Das letzte Wort ist noch nicht gefallen. Das lasse ich mir nicht gefallen. So geht das nicht, so können Sie nicht mit mir umgehen, nicht mit mir”, brüllte er dem Schaffner ins Gesicht.
Der war völlig routiniert: “Guter Mann, nun regense sich nich so uff. Wenn’se unsere Geschäftsbedingung gelesen haben, dann wissen Sie, dass wir bei widrigen Bedingungen den Betrieb einstellen dürfen. Safety first. Mit dem Koof einer Fahrkarte habense diesen Bedingungen zugestimmt.” Mit dem Handrücken drückt der Mann ihn zur Seite und machte drei Schritte Richtung Ausgang.
“So nicht, nicht mit mir”, brüllte er ihm hinterher. Die Engländer schauten pikiert. Wie war es möglich, dass ein so netter ältere Herr zu solch einer Furie werden konnte?
Der Schaffner drehte sich noch einmal um. “Ach wissense wat, wendense sich doch an den Kollähgen Fahrdienstleiter. Der kann ihnen dat noch janz jenau erklären. Gute Reise noch.”
“Also gut, dann werde ich mich an höhere Stellen wenden”, blaffte er zurück, schulterte den Sack und strebte zur Tür. Klick, ratsch, ratsch, klick. Tür auf, tür zu. er war draußen. auf der Endbühne erwartete ihn ein Inferno. Der Sturm peitschte ihn den Schnee ins Gesicht. Nur mit einem schnellen Griff konnte er seine Mütze noch retten.
Die 50 Meter zum Bahnhofsgebäude wurden zu einem Spießrutenlauf. Er musste sich jeden Schritt schwer erarbeiten. Je dichter er an das Gebäude kam, desto wütender schien der Sturm zu brüllen. Er bekam gar nicht mit, dass gerade eine Nachricht in die WhatsApp-Gruppe “RunRudolfRun” gepostet wurde. “Wetter hier oben unerträglich, brechen Experiment ab, treffen uns an der Feuersteinklippe, alle wohlauf, bis gleich, LG Rudolf”.
Der Sturm riss ihm fast die Tür aus der Hand, dennoch schaffte er den Sprung vor den Fahrkartenschaltern. Hinter ihm knallte die Tür zu. “Ich muss unbedingt iden Fahrdienstleiter sprechen”, keuchte er der Dame hinter dem Schalter entgegen.
“Nu holnse erst mal Luft, guter Mann. Um was geht’s denn?”, versuchte die zu beruhigen.
"Ich muss weiter, unbedingt, ich muss weiter”, hustete er.
“Ich glaube nicht, dass sich da was machen lässt, guter Mann. Da geht wohl gar nüsch mehr. Aber ich kann ja mal den Herrn Schachtebeck rufen, der ist der zuständige Fahrdienstleiter.”
Sie drehte den Kopf nach hinten: “HÄÄÄRRR SCHAAACHTEBECK, kommense mal. hier möchte jemand mit ihnen sprechen, HÄÄÄRRR SCHAAACHTEBECK”.
“Ja, wat denn, wat denn, is doch jut”. Auch Fahrdienstleiter Schachtebeck entpuppte sich als Migrant aus Berlin.
“Wir können hier nicht stehen bleiben, ich muss weiter, ich muss nach oben, unbedingt.”
“Na hörnse mal, juter Mann. Erstens bleebnse hier nicht stehen, sie kehren um. Is’ det klar. Zweetens, wat se müssen und wat nüscht, det interessiert mich nicht. Allet wat icke muss, is’ die Sicherheit der Fahrjäste und vonnet Personal zu jarantieren. Safety fürscht. Dat det mal klar is. Habense mich verstanden. Also retour und husch husch in den Zuch, gleich ist Abfahrt.”
“So können sie nicht mit mir reden.” Sein Kopf nahm wieder das Rot seines Mantels an.
“Doch det kann ick, weil ick hier nämlich der Chef bün. Dat det mal klar is. Und als solcher habe ick entschieden dat det heute keen Fahrten mehr uff den Brocken jeben tut, aus Sicherheitsgründen. Safety fürscht. Det muss ihnen als Begründung reeechen. So, denne wäre och det klar. Wie jesacht, retour, durch de Tür und husch husch in den Zuch, sonst verpassnse och noch de Abfahrt.”
“Aber ich bin doch im höheren Auftrag unterwegs. Im Auftrag von Glück und Zufriedenheit. Weihnachten ist in Gefahr.”
“Im Oftrach von Glück und Zufriedenheit, det klingt wie ausse Ü-Ei-Werbung. Det eenzige, wat hier in Jefahr is, is de Sicherheit vonne Fahrjäste und der reibungslose Betriebsablauf. Juter Mann, nun regnse sich mal ab und passense uff, dat se nicht die Abfahrt verpassen. Sonst droht ihnen Jefahr vonne lieben Jattin. Wetten?”
In der WhatsApp-Gruppe “RunRudolfRun” kam eine neue Nachricht rein: “Wir sind jetzt an der Klippe, wo bist du, beeil dich, es ist schweinekalt hier. Bis später. LG Rudolf”. Auch diese Nachricht blieb unbemerkt.
Neue Strategie. “Wie weit ist es von hier auf den Gipfel?”
Die Dame hinter dem Schalter schaute ihn ungläubig an. Herr Schachtebeck spitzte erst die Lippen und sog dann die Luft hörbar ein. “Warum wollen sie das wissen?”, fragte die Mitarbeiterin zurück.
Es lag ein wenig Triumph in seiner Stimme: “Wenn Sie ihrer Beförderungspflicht nicht nachkommen, dann werde ich mich selbst da hoch befördern.“
“Ick gloob, Se spinnen, juter Mann.” Schachtebeck mischte sich ein. “Kiecken Se mal nach draußen, nachm Wetter. Wat sehnse? Nüscht, weil nämlich allet weeß is’”
Ein leiser Pfiff, dann ein Schnaufen an der Grenze der Hörbarkeit. Auf Gleis zwei setzte sich der Zug in Bewegung. In wenigen Minuten würde er wieder in Drei Annen Hohne sein.
Der Triumph in seiner Stimme wurde deutlich: “Auch wenn Sie ihrer Beförderungspflicht nicht nachkommen wollen, dann lasse ich mich nicht davon abhalten, meinen Auftrag zu erfüllen.” Er griff tief in den Jutesack und hielt dann den HSB-Mitarbeiter voller Stolz und mit einem breiten Grinsen sein GPS-Gerät vor die verdutzten Gesichter.
“Pah!” Mit frisch gewonnener Kraft stemmte er sich gegen die Tür, öffnete sie einen Spalt und drehte sich nach draußen. Der Wind drückte die Tür wieder zu. Draußen heulte der Sturm in alter Stärke.
“Is det jetzt der Enkel von Scott oder de Reinkarnation von Shackleton”. Die Frau hinterm Schalter verstand die Frage nicht. In der WhatsApp-Gruppe tauchte eine andere Frage auf “Wo bleibst du”.
Dann verschwand der rote Mantel im Schneetreiben.
In diesem Jahr fiel die Bescherung aus. Weltweit.
Nachtrag:
POL-WR: Toter am Brocken gefunden
Wernigerode (ots) - Brocken (stüw.) Am Montag, 30.04.2018, haben Wanderer
gegen 15.30 Uhr am Brocken einen leblosen Körper gefunden. Der Mann lag am Wanderweg Eckerloch unter einem abschmelzenden Schneehaufen. Deshalb geht die Polizei davon aus, dass er dort schon seit längerer Zeit lag.
Zur Todesursache können die Beamten derzeit noch keine Angaben machen. Die Staatsanwaltschaft Halberstadt geht aber nicht von einem Tötungsdelikt aus. Die Leiche wurde nach Halberstadt verbracht. Dort soll sie nun obduziert werden.
Bekleidet war der Mann mit einem roten Mantel mit weißen Pelzbesatz und einer roten Hose. Am rechten Fuß trug er einen schwarzen Lederstiefel. Der Verbleib des zweiten Stiefels ist derzeit noch unklar.
Der Mann trug einen weißen Vollbart. Sein Alter wird auf 70 bis 75 Jahre geschätzt und er ist etwa 1,80 Meter groß. Beim Toten wurden keine Ausweisdokumente gefunden.
Die Polizei geht davon aus, dass es sich um einen verirrten Wanderer handelt. Neben der Leiche fand sein ein älteres GPS-Gerät der Marke Garmin.
Dem zuständigen Kommissariat Wernigerode liegen keine Vermisstenmeldungen vor. Wer Angaben zur Person des Toten machen kann, wird gebeten, sich mit dem zuständigen Kommissariat in Verbindung zu setzen.
OTS: Polizeikommissariat Wernigerode
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Rückfragen bitte an:
Polizeirevier Harz
Polizeikommissariat Wernigerode
Teil zwei: Er ist nicht zu ersetzen
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