Ich bin der Neue
Teil zwei: Er ist nicht zu ersetzen
Ding - Dong. Ding - Dong.
Pünktlich auf die Minute. Das klappt ja wunderbar. Damit steht einem schönen Weihnachtsfest nichts mehr im Wege.
Halt, wie sieht der Typ denn aus. Das muss was anderes sein. Und das um diese Zeit. Kann ich sowas von gar nicht gebrauchen.
“Ja, guten Tag, was kann ich für Sie tun?”
“Nein, nicht Sie für mich, sondern ich für Sie. Ich bin die Bescherung.”
“Na schöne Bescherung. Danach sieht es aber gar nicht aus.”
“Na ja, genau genommen bin ich nicht die Bescherung, sondern ich sorge dafür, dass sie schön wird. Ich bin nämlich der Weihnachtsmann.”
“Sie sind der Weihnachtsmann? Wollen Sie mich auf den Arm nehmen? Nun hören Sie mal zu: an solche einem Tag habe ich besseres zutun als mich auf den Arm nehmen zu lassen. Wenn Sie mir jetzt ein Abo verkaufen wollen, dann sehen Sie zu, dass Sie Land gewinnen und zwar ziemlich schnell. Horchen Sie mal, wir haben einen Hund und zwar einen ziemlich großen.”
“Doch, doch. Ich bin der Weihnachtsmann und zwar der neue.”
“Wollen Sie mich auf den .... “
“Lassen Sie mich doch mal erklären. Also gut, ich eigentlich nicht der neue Weihnachtsmann sondern nur der Ersatzmann. Eigentlich ist die Jenny der neue Weihnachtsmann. Aber die ist ja alleinerziehend und somit an Heiligabend grundsätzlich nicht verfügbar. Das ist aber erst hinterher aufgefallen und da war es schon zu spät und deswegen bin ich es dann geworden.
Ach übrigens, ich heiße Lennart. Das klingt nicht so steif und wie heißt du?”
“Wollen Sie mich ver….?”
“Willst du mich …”
“Wie bitte?”
“Willst du mich verarschen muss das heißen. Wir waren doch schon beim du angelangt. Nein. will ich nicht und wie heißt du?”
“Frank.”
“Und deine Frau?”
“Kathrin.”
“Ach ja, steht auch so auf meiner Liste. Kathrin und Frank Neuendorf-Klinger und zwei Kinder.”
“Nein.”
“Nein? Keine Kinder?”
“Doch, schon zwei Kinder. Aber meine Frau heißt Neuendorf-Klinger und ich nur Neuendorf. Das haben wir so gemacht wegen des Geschäfts. Da wäre Neuendorf-Klinger einfach zu lang.
Aber was erzähle ich ihnen das eigentlich? Jetzt erzählen Sie mir erst einmal ….”
“Dir und du, Frank. Was erzähle ich dir muss es heißen. Wir waren doch schon beim du.”
“Also gut. Was willst du hier?”
“Na, ich bringe halt die Geschenke. Es ist Heiligabend. Guck auf den Kalender.”
“Ah ja, in diesem Aufzug? In roter Jogginghose und grünen Sneakers.”
“Ich bin doch eben der neue Weihnachtsmann, also der neue Ersatzweihnachtsmann. Wenn die Kinder von der Jenny groß genug, ach Quatsch, die heißt ja gar nicht Jenny sondern Karin. Also dann übernimmt sie den Job, die Karin. Es ist ja eigentlich ihrer seit letztem Jahr. Aber in den nächsten fünf oder sechs Jahren, also solange mach’ ich das bis dahin.”
“Leon, komm zur Sache.”
“Lennart, ich heiße Lennart”.
“‘tschuldigung, Lennart.”
“Eigentlich darf ich es ja nicht erzählen, das ist nämlich geheim, so was von geheim. Aber den Schulte-Brinkhorst von schräg gegenüber, denen hab’ ich’s ja auch erklärt, obwohl sie es eigentlich nicht wissen dürfen.”
“Was dürfen sie eigentlich nicht wissen?”
“Na, dass der Weihnachtsmann tot ist. Also der alte.”
“Ah ja, der Weihnachtsmann ist also tot?”
“Ja, seit zwei Jahren so. Am Heiligabend im Schneesturm am Brocken erfroren. Voll krass ausgerechnet am Heiligabend.”
“Und das soll ich glauben?”
“Gab es vor zwei Jahren eine Bescherung? Nein! Na also, siehste.”
“Äähhh hhhmm, Aber was machen Sie, äh was machst du jetzt hier?”
“Na die Bescherung, habe ich doch schon dreimal gesagt.
Ok, wir haben dann letztes Jahr ein Casting gemacht. Also ich habe da mitgemacht. Das war schon echt hart. Da mussten wir Schlitten fahren und Säcke schleppen, so richtig voll schwere Säcke und dann mussten wir erklären, warum wir Weihnachtsmann werden wollen und ob wir eigene Ideen dazu haben und wie bei uns früher Weihnachten so war.”
“Ja und?”
“Voll scheiße. Mama kam erst spät von der Arbeit nach Hause und da lag Papa schon besoffen auffem Sofa.”
“Nein, das meinte ich nicht. Ich meinte das Casting.”
“Ach so. Gewonnen hat ja die Jenny und ich bin Dritter geworden. Die Jenny, ach Quatsch, also die Karin, die hat dann 8 Wochen später festgestellt, dass sie ja immer an Weihnachten arbeiten müsste und dass das nicht so richtig passt in ihren Plan, also solange die Kinder klein sind.
Weil ich so ‘nen schönen finnischen Vornamen habe, hab’ ich dann den Job bekommen.”
“Lennart? Finnisch? Ist Lennart nicht eher schwedisch?”
“Finnisch, schwedisch, egal, auf jeden Fall haben die mit mir das Trainee-Programm durchgezogen.”
“Das Trainee-Programm?”
“Ja, das Trainee-Programm. Was glaubst du denn? Meinst wirklich du, jeder kann Weihnachtsmann werden? Das ist ein harter Job, ein verdammt harter Job.
Also, Schlitten lenken und Säcke schleppen und so weiter. Die Nummer mit dem Kamin rutschen haben’se aber schon vor Jahren gestrichen. Also ehrlich. Wer hat denn schon einen Kamin?”
“Wir.”
“Na gut okay. Ihr habt einen. Aber ich wäre sowieso nicht aufs Dach geklettert. Das ist mir zu heavy, außerdem habe ich Höhenangst. Deswegen mache ich beim Schlittenfahren auch immer die Augen zu. Ich verlasse mich da voll auf Rudy. Er kennt sie echt aus.”
“Ist das da dein Schlitten?”
“Welcher?”
“Der auf dem Carport von den Heckenbecks nebenan.”
“Ach so. Ja
Auf jeden Fall kam das Schwerste noch. Ich musste dann nach Finnland zu den Zwergen und Elfen. Finnland ist ja schon schön, aber dann doch zuviel Natur. Auf jeden Fall musste ich mit den Zwergen und Elfen sprechen, so richtig verhandeln. Die wollten mehr Geld und weniger arbeiten. Will ich ja auch, also war das schnell abgehakt.”
“Was ist nun mit den Geschenken?”
“Ach stimmt, die Geschenke. Das ist nicht ganz so einfach. Was sich Lennart da gewünscht hat, das geht ja gar nicht.”
“Leon, nicht Lennart.”
“Hääh?”
“Lennart, mein Jüngster heißt Leon. Leon, nicht Lennart. Steht das nicht auf deiner Liste?”
“Doch, doch, also sorry, voll sorry.
Auf jeden Fall haben wir das in unserem Team besprochen und gesagt: Geht gar nicht. Also so ein Geschenk ist ja voll retro und sorgt nur dafür, dass Lennart in alten Rollen verharrt.”
“Leon, nicht Lennart.”
“Sorry, voll sorry. Also bekommt er was anderes dieses Jahr. Wir haben im Team entschieden, dass es etwas sein soll, was binäres Denken durchbricht und die ganze Vielfalt und ihre Gleichberechtigung zeigt, oder so.”
“Und was ist es bitte schön?”
“Nicht so ungeduldig, das siehst du dann schon noch. Lass dich einfach überraschen.”
“Was ist mit Luka?”
“Mit wem?”
“Mit Luka, Leons Bruder und unser Ältester. Steht der nicht auf deiner Liste?”
“Äh, doch doch, der steht auch drauf. Da isser.
Hhmm auch bei Lukas Wunsch gab es Einwände im Team, also so aus sozialökologischen Gründen. Jasmin meinte: Geht gar nicht und dann hat sie uns das genau erklärt und auch überzeugt, dass das so nicht geht, so aus Klimaschutzgründen.”
“Wer ist Jasmin bitteschön? Noch ein Ersatzweihnachtsmann?”
“Nein, Jasmin ist unsere CRM, unsere Customer Relationships Managerin als Connecting Advisor nach Himmelsthür.”
“Ah jaaa!”
“Also die Jasmin, die bearbeitet die Schreiben an das Weihnachtsmannpostamt und sortiert die vor. Auf jeden Fall hat sie uns erklärt, dass Leons Wunsch nicht mit unseren Klimazielen …”
“Lukas Wunsch, es geht gerade um Luka.”
“Ach ja, stimmt, auf jeden Fall ist Leon Lukas Wunsch nicht mit unseren Klimazielen vereinbar und deswegen bekommt er was anderes, was CO-2 Neutrales.”
“Was CO-2 Neutrales. Was ist das genau?”
“Auch hier gilt: Nicht so ungeduldig, das siehst du dann schon noch. Lass dich einfach überraschen.”
“Ich hatte schon genug Überraschungen heute.”
“Frank, nicht so negativ, immerhin ist jetzt Heiligabend. Freue dich.”
“Was ist nun mit den Geschenken? Wo sind die? Du willst die doch nicht in dem Zustand überreichen?”
“Ach so, sorry, das hatte ich ja noch nicht erwähnt. Also, die habe ich jetzt gar nicht dabei. Ich darf nämlich nicht so schwer tragen und schon gar keinen Sack voller Geschenke. Is’ nicht möglich sagt mein Arzt. Deswegen haben wir im Team entschieden, dass wir die Geschenke liefern lassen, also so mit Packboten, kennste ja.”
“Wie bitte? Habe ich richtig gehört? Mit Paketboten?”
“Ja ja doch doch.
Ich darf nicht so schwer schleppen wegen meiner Skoliose. Darf ich mich setzten. Danke.
Ich wollte ja nur sagen, dass euer Termin am 28. Dezember ist, vormittags zwischen 9.30 und 11.00 Uhr. Da sollte jemand zu Hause sein und die Geschenke in Empfang nehmen. Wenn keiner da ist, gehen die nämlich zurück nach Finnland. Wir haben einfach keinen Platz, um die zwischenzulagern. So sagt man doch? Zwischenlagern.
Also gut, das wars fast, aber kannste mir das noch quittieren, also unterschreiben dass ich heute hier war, mit dem Stift hier da unten auf mein Display. Danke.”
Nie zuvor hat jemand so schnell unterschrieben und die Haustür zugeknallt. Fast fegt es Lennart die Beanie vom Kopf.
“Schatz! Kommst du endlich? Mit wem hast du dich so lange an der Tür unterhalten?”
“Mit einem Niemand!”
“Und wo sind die Geschenke für die Kinder?”
Auch in diesem Jahr fiel die Bescherung aus.
Teil eins: Ruprecht kam nur bis Schierke
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